Amnestie und Straferlass: Was mit früheren Cannabis-Verurteilungen geschieht
Seit der Teil-Legalisierung von Cannabis in Deutschland am 1. April 2024 stellt sich für viele die Frage, wie mit früheren Verurteilungen wegen Cannabis-Delikten umgegangen wird. Die Einführung des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) hat nicht nur den aktuellen rechtlichen Status von Cannabis verändert, sondern wirkt sich auch rückwirkend auf vergangene Urteile aus. Dieser Artikel beleuchtet die Auswirkungen der Gesetzesänderung auf frühere Verurteilungen und laufende Verfahren.
Die Amnestieregelung im Überblick
Mit Inkrafttreten des neuen Cannabisgesetzes wurde eine Amnestieregelung eingeführt, die rückwirkend einen Straferlass für bestimmte Cannabis-bezogene Taten anordnet. Diese Regelung betrifft Verurteilungen, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar wären.
Wer profitiert von der Amnestie?
Die Amnestie gilt für Personen, die vor dem 1. April 2024 wegen Cannabis-Delikten verurteilt wurden, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar sind. Dies betrifft insbesondere:
- Besitz von Cannabis für den Eigenkonsum in geringen Mengen (bis zu 25 Gramm)
- Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen für den Eigenbedarf
- Weitergabe geringer Mengen Cannabis ohne Gewinnabsicht an Erwachsene
Auswirkungen auf bestehende Verurteilungen
Die Justizbehörden in ganz Deutschland sind nun damit beschäftigt, tausende Gerichtsurteile in Verbindung mit Cannabis zu überprüfen. Nach Schätzungen der Berliner Staatsanwaltschaft kommt bei etwa 10 bis 15 Prozent der Fälle eine Neufestsetzung der Strafe oder ein vollständiger Straferlass in Frage.
Automatischer Straferlass
Ein wichtiger Aspekt der Amnestieregelung ist, dass der Straferlass automatisch in Kraft tritt, ohne dass eine zusätzliche Entscheidung einer Behörde erforderlich ist. Dies bedeutet, dass betroffene Personen nicht selbst aktiv werden müssen, um von der Amnestie zu profitieren.
Entlassungen aus der Haft
In einigen Fällen hat die neue Gesetzeslage bereits zu Entlassungen aus der Haft geführt. In Berlin wurde beispielsweise ein Häftling entlassen, der wegen schweren Raubes und dem Besitz von 23 Gramm Cannabis im Gefängnis saß. In Brandenburg wurden bis Ende April 2024 vier Personen aus der Haft entlassen.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Die Umsetzung der Amnestieregelung stellt die Justizbehörden vor erhebliche Herausforderungen.
Überprüfung von Gesamtstrafen
Besonders komplex wird es bei Gesamtstrafen, bei denen Cannabis-Delikte mit anderen Straftaten zusammen abgeurteilt wurden. In solchen Fällen müssen die Gerichte die Gesamtstrafe neu berechnen und dabei die nun nicht mehr strafbaren Cannabis-Delikte herausrechnen.
Juristische Grauzonen
Es gibt noch offene juristische Fragen, wie ein Berliner Rechtspfleger gegenüber rbb|24 erklärte. Ein Beispiel: „Ein Täter wurde wegen einer früheren Straftat auf Bewährung verurteilt. Nun wurde er mit Cannabis erwischt, der Straftatbestand wäre also Besitz von Betäubungsmitteln – und aufgrund der neuen Straftat wurde die Bewährung widerrufen und er muss ins Gefängnis. Durch die Gesetzesänderung muss er aber nun so gestellt werden, als hätte es die neueste Verurteilung nie gegeben. Was ist dann mit seiner bereits teilweise verbüßten Freiheitsstrafe?“
Bundeszentralregister
Die nachträgliche Streichung von Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister bedeutet einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Die Justiz muss in jedem Einzelfall prüfen, ob es gerechtfertigt ist, den Eintrag eines Verurteilten zu löschen.
Praktische Beispiele und Gerichtsentscheidungen
Ein konkretes Beispiel für die Auswirkungen der Amnestieregelung liefert ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart:Der Angeklagte war ursprünglich wegen Körperverletzung und Beleidigung zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Zusätzlich wurden zwei frühere Verurteilungen wegen Cannabisbesitz (0,8 g und 1,3 g) in die Gesamtstrafe einbezogen. Das OLG Stuttgart kam zu dem Schluss, dass diese Cannabis-Delikte von der Amnestie-Regelung erfasst werden und somit als erlassen gelten. Infolgedessen reduzierte das Gericht die Gesamtfreiheitsstrafe von ursprünglich sieben Monaten auf sechs Monate und eine Woche.
Auswirkungen auf laufende Verfahren
Nicht nur abgeschlossene Fälle sind von der Gesetzesänderung betroffen. Auch laufende Strafverfahren wegen Cannabis-Delikten, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar sind, werden eingestellt. Dies entlastet die Justiz von zahlreichen Kleinstverfahren, die zuvor auch wegen geringer Mengen Cannabis routinemäßig eingeleitet worden waren.
Grenzen der Amnestie
Es ist wichtig zu betonen, dass die Amnestie nicht für alle Cannabis-bezogenen Straftaten gilt. Folgende Delikte bleiben weiterhin strafbar:
- Handel mit Cannabis
- Besitz größerer Mengen (über 25 Gramm in der Öffentlichkeit oder 50 Gramm zu Hause)
- Abgabe von Cannabis an Minderjährige
- Anbau von mehr als drei Cannabispflanzen
Personen, die wegen solcher Delikte verurteilt wurden, profitieren nicht von der Amnestieregelung.
Gesellschaftliche und rechtliche Implikationen
Die rückwirkende Anwendung des neuen Cannabisgesetzes auf frühere Verurteilungen hat weitreichende gesellschaftliche und rechtliche Implikationen:
Rehabilitation und Reintegration
Für viele Betroffene bedeutet die Amnestie eine Chance auf Rehabilitation und bessere Reintegration in die Gesellschaft. Die Löschung von Einträgen im Bundeszentralregister kann sich positiv auf zukünftige Arbeitsmöglichkeiten auswirken.
Rechtssicherheit und Gleichbehandlung
Die Amnestieregelung trägt zur Rechtssicherheit bei, indem sie sicherstellt, dass Personen nicht für Handlungen bestraft bleiben, die nach aktuellem Recht legal sind. Dies fördert die Gleichbehandlung aller Bürger vor dem Gesetz.
Entlastung des Justizsystems
Langfristig wird die Gesetzesänderung zu einer Entlastung des Justizsystems führen, da weniger Verfahren wegen geringfügiger Cannabis-Delikte geführt werden müssen.
Kritik und Kontroversen
Trotz der positiven Aspekte gibt es auch kritische Stimmen zur Amnestieregelung:
- Einige Kritiker argumentieren, dass die rückwirkende Anwendung des Gesetzes die Rechtssicherheit untergrabe.
- Es wird befürchtet, dass die Amnestie falsche Signale senden und den Cannabiskonsum fördern könnte.
- Die zusätzliche Arbeitsbelastung für die Justiz bei der Überprüfung alter Fälle wird als problematisch angesehen.
Fazit und Ausblick
Die Amnestieregelung im Rahmen der Cannabis-Legalisierung stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung einer liberaleren Drogenpolitik dar. Sie bietet vielen Menschen die Chance auf einen Neuanfang ohne strafrechtliche Belastung. Gleichzeitig stellt sie die Justiz vor erhebliche Herausforderungen bei der Umsetzung.In den kommenden Monaten und Jahren wird sich zeigen, wie effektiv die Amnestieregelung in der Praxis umgesetzt werden kann und welche langfristigen Auswirkungen sie auf die Gesellschaft und das Rechtssystem haben wird. Es ist zu erwarten, dass weitere Gerichtsentscheidungen und möglicherweise auch Gesetzesanpassungen folgen werden, um offene Fragen zu klären und die Umsetzung zu optimieren.Für Betroffene und ihre Angehörigen bleibt es wichtig, sich über ihre Rechte zu informieren und gegebenenfalls rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um von der Amnestieregelung bestmöglich zu profitieren.
Quellenangaben:
https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/04/berlin-brandenburg-justiz-deutlich-mehr-cannabis-verfahren-aufgerollt-amnestie-legalisierung.html
https://www.strafrechtsiegen.de/rechtswirkungen-straferlass-fuer-straftaten-nach-dem-betaeubungsmittelgesetz/
https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Cannabisgesetz-Welche-Regeln-gelten-in-Deutschland,cannabisfaq100.html
https://www.advocado.de/ratgeber/strafrecht/betaeubungsmittel/cannabis-legalisierung.html
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz.html
https://community.beck.de/2023/04/13/geplante-cannabis-legalisierung-folgen-fuer-polizei-und-strafjustiz
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